Eine Erinnerung von Heidelore Kneffel

Die Humboldts und der Ort Auleben

Donnerstag
30.03.2023, 08:55 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
„... daß das Aufsuchen eines schönen Gesichtspunktes auf den Bergen bei Auleben mich schon im zehnten Jahr beschäftigte … Lange stand ich hier am Fenster, wo man die Aussicht auf einen mit Bäumen und dazwischen liegenden Häusern bedeckten Bergen hat, auf dessen Spitze die Kirche liegt.“ Caroline v. Humboldt...

Besonders intensiv lernten die Humboldts mit ihrem Töchterchen Auleben kennen bei einem Aufenthalt, den das jungvermählte Paar 1792/93 im Dorf hatte. Es entstand ein Lebensbund, der über das Sterbedatum der Caroline am 26. März 1829 hinauswirkte. Bis zu seinem Tode am 8. April 1835 wird Wilhelm alles tun, um das Ansehen seiner Frau, die für ihn ein außergewöhnlicher Mensch war, hoch zu halten. Seit einigen Jahren ehrt man diese Frau auch an der Humboldtuniversität in Berlin mit einem nach ihr benannten Preis an Nachwuchswissenschaftlerinnen des In- und Auslandes, eine Jury vergibt eine Caroline- von-Humboldt-Professur.

Anregungen empfing Caroline von mehreren Personen, auch von ihrem Vater, von dem es in der Erfurter Chronik heißt, er sei „einer unserer verdientesten und verehrtesten Patrioten, der Beschützer der Wissenschaften, der Gönner vieler Gelehrten und Künstler und der großmütige Wohltäter der Armen.“ Er besaß eine der größten Kupferstichsammlungen seiner Zeit. Auch sie trug mit dazu bei, in ihr Kunstkenntnis und Kunstgenuss auszubilden. Beides wird sie mit Wilhelm von Humboldt besonders in Bezug auf die Antike in Auleben vertiefen und Zeit ihres Lebens kultivieren. Es gibt kaum eine Frau, die so uneigennützig Kunstschaffende gefördert hat, wie es Caroline in ihrem Leben tat.

Carl Friedrich von Dacheröden war schwarzburg-rudolstädtischer adliger Vasall und als solcher Landrat gewesen, später Kammerpräsident. Er hatte das sogenannte „Fürstengut“ in Auleben wiederkäuflich am 12. Februar 1756 erworben. Das Dorf befand sich in der Herrschaft Heringen, die damals zu Schwarzburg-Rudolstadt gehörte. Das Gebäude, das heute allgemein unter dem Namen Humboldtsches Schloss in Auleben bekannt ist, stammt aus dem Jahr 1518, ist also ein Bau der Renaissance, hat allerdings allerlei Umbauten über sich ergehen lassen müssen. Bauherr war der Graf Heinrich von Schwarzburg-Sondershausen. Das Haus diente der Grafenfamilie als Gästehaus in den Sommermonaten, später als Witwensitz für Maria Magdalena von Schwarzburg-Sondershausen. Sie starb hier 1689.

Besucher eines Vortrages im Humboldtschloss in Auleben (Foto: H.Kneffel) Besucher eines Vortrages im Humboldtschloss in Auleben (Foto: H.Kneffel)

Seit ihrer Kindheit weilt Caroline insbesondere in den Sommermonaten vor allem auf zwei Gütern der Familie, in Burgörner und in Auleben. Es ist gut, präsent zu sein, außerdem dient insbesondere der Aufenthalt in der frischen Luft der Gesundheit. Am 22. Juni 1790 schreibt Caroline aus Auleben mehrere Seiten an Wilhelm, und zwar einen Geburtstagsbrief. In dem 1906 in Berlin erschienenen 1. Band des Briefwechsels der beiden „Briefe aus der Brautzeit 1787-1791“ ist dieses Schreiben auch als Faksimile beigegeben. Die junge Frau ist 24 Jahre, der Empfänger wird 23 Jahre. In diesem Schreiben erfährt man vieles davon, was ihr Dasein bestimmt. „Ich gehe hier in den Bauernhütten viel herum, und Gott weiß, wie wohl es mir oft wird, wenn ich mitten unter ihnen sitze und sie mir erzählen von ihrer Wirtschaft, ihren Kindern, ihrem kümmerlichen Auskommen, und wie sie sich von einer Zeit zur anderen durchhelfen müssen – der Gedanke der verschiedenen Richtungen, die dieselbe Kraft in uns nimmt, und wie wir meist nur immer werden, was die Einwirkung äußerer Dinge uns zu werden erlaubt, wie drängt er sich mir auf, und in welches Labyrinth der Betrachtung führt er mich nicht – und dann tritt eine elender, kurzsichtiger Mensch auf, der nicht einen halben Blick in dies unendliche Gewebe menschlicher Empfindungen zu tun vermag, und urteilt frech und vermessen über seine Brüder, und möchte so gern seinen eingeschränkten Gesichtskreis für die Grenzen des Reichs der Empfindung ausgeben – vergib, ich möchte nicht gern bitter werden, aber die Albernheiten der Menschen sind unbegreiflich.

Wenn´s mir manchmal so einfällt, wie sie sich ziehen lassen an dünnen, dünnen Fäden wie die Drahtpuppen, und was sie ihren kleinlichen Leidenschaften vor prächtige Namen geben, und wie sie nichts herzlich lieben, ihres Selbst´s sich keinen Augenblick entäußern können und keinen Sinn haben für irgend etwas Großes – sieh, ich gehe tausendmal lieber um mit Kindern und dem sogenannten gemeinen Volke, als mit ihnen. Wenn man sie einmal gesehen hat, weiß man sie auswendig, man kann berechnen, was sie tun und sagen werden …“ Im Herbst, im September 1790, ist sie wiederum im Goldene-Aue-Dorf und teilt Wilhelm brieflich mit: „Ich bin gestern abend hier angekommen, mein Bill, und leidlicher, als ich´s erwartete … Ich spucke kein Blut, sei also ja nicht besorgt, liebster Wilhelm.

Abends 10 Uhr Noch eine gute Nacht, Bill, o, ich habe eine Entdeckung gemacht – eine prächtige Entdeckung, die mich für einen Moment um 30 Meter näher zu Dir rückte. In der Stube, wo ich schreibe, hängen Landkarten. Wie ich vorhin hereinkomme, sehe ich sie so flüchtig an. Ich wußte eigentlich selbst nicht, was ich suchte, bis mir Berlin in die Augen fiel – da wußt ich´s, und denk nur, gleich darauf Tegel. Nein, Du hast kaum einen Begriff von meiner ausgelassenen Freude. Ich lachte und weinte und sprang in der Stube herum und war auf einmal bei Dir, ging mit Dir an den Ufern des Sees und in den Gärten – und nun, ach, nun bin ich wieder allein. Ich geh nun zu Bette. Es ist so eine häßliche, dunkle Kammer, wo ich liege... Gute Nacht, mein Bill.“

Das Renaissanceschloss in Auleben (Foto: H.Kneffel) Das Renaissanceschloss in Auleben (Foto: H.Kneffel)

Am Sonnabend abends 11 Uhr, dem 25. September 1790, beginnt ihr Brief an Wilhelm: „Es ist dies der letzte Abend hier in Auleben … Morgen reisen wir mit dem frühsten … ich habe die Kammer leise zugemacht und sitze nun noch hier in meiner Stube, umgeben von alten Familienporträts und den Konterfeien vermoderter Kaiser und Könige, und schreibe an meinen Bill und danke ihm ach so herzlich für seinen teuren Brief … Ach, wie erheitern, einzig liebes Wesen, die bloßen Züge Deiner Hand meine ganze Seele. Es ist eine stürmische Nacht, der ganze Tag war kalt und unfreundlich. Aber ich war doch im Freien. Es war mir so ein Bedürfnis, der herbstlichen Natur ein Lebewohl zu sagen. Meine Lebensart wird nun so verschieden, und darum ergreift´s mich doch immer, wenn ich in die Stadt zurückkehre. Ich bin dort sehr eingeengt. Es ist unschicklich, allein spazieren zu gehen. Ich bleibe also fast immer zu Hause und genieße von dem letzten Herbst, den hellen Wintertagen und dem ersten Frühling wenig oder nichts; denn mit wem soll ich ausgehen? Indes, was hilft´s – es wird ja auch das bald vorbei sein. Gute Nacht, mein Bill.

Am 29. Juni 1791 abends fand die Trauung im Haus Dacheröden in Erfurt statt. Die junge Familie lebte zuerst in Erfurt, dann auf den Gütern in Burgöner und Auleben.

Am 16. Mai 1792 wurde in Erfurt die erste Tochter Caroline geboren, die Humboldt zärtlich den Wickelnarren nannte. Er beschreibt die Neugeborene so: „Das kleine Mädchen ist ein allerliebstes Geschöpf, so groß und stark …, so voll Leben und Munterkeit und mit wundergroßen blauen Augen, die sie unaufhörlich im Kopf herumrollt. Meine Frau stillt das Kind selbst.“ Letzteres war in dieser Zeit in bürgerlichen und adligen Kreisen äußerst selten und rief Verwunderung hervor. Kinder waren dem Ehepaar wichtig für das Leben.

Das Schicksal der Humboldtfamilie beschäftigt mich seit 1992 intensiver, als Christine Lieberknecht, die damalige Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten mit einer größeren Delegation im Auedorf weilte, um zu erkunden, ob Auleben in Thüringen Europadorf werden könne. Insbesondere Caroline von Humboldt trat in mein Blickfeld. Nun sind meine Recherchen so weit gediehen, dass sie im Verlag Veit in Nordhausen zu einem Buch zusammengefasst werden und unter dem Titel:„ ‚Ich habe mit den Kunstsachen aufs Vertrauteste gelebt‘ – Caroline von Humboldt, geb. von Dacheröden, und ihr ‚Leben der Poesie‘ “, in diesem Jahr herauskommen werden. Der Text und die Fotografien stammen von mir, die Zeichnungen von Karin Kisker.
Heidelore Kneffel