Das Nordhäuser Zirkusfestival ist zurück

Blue Balloon No. 8

Dienstag
16.04.2024, 18:45 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wer in und um Nordhausen auch einmal Ausgefalleneres sehen will, der muss sich für gewöhnlich ins Auto setzen und eine der größeren Städte ansteuern. Für ein paar Wochen im Jahr dreht sich dieser Spieß aber um und diese Zeit ist nun wieder gekommen - das Festival „Blue Balloon“ bringt außergewöhnliche Kunst und modernen Zirkus in den Südharz…

Das Nordhäuser Zirkusfestival ist zurück: (v.l.) Alexander Jäger, Jessica Piper und Steffi Böttcher stellten heute das neue Programm vor (Foto: agl) Das Nordhäuser Zirkusfestival ist zurück: (v.l.) Alexander Jäger, Jessica Piper und Steffi Böttcher stellten heute das neue Programm vor (Foto: agl)


„Warum in die Ferne schweifen“, fragt der Dichter. „Weil’s hier arg dünne ist mit moderner Kunst und Kultur“, könnte da die Antwort für manchen Zeitgenossen lauten. Sagen wir mal, nur so zum Beispiel, einer möchte Auge und Geist assoziativ an einer surrealen, düster-skurrilen Groteske zum Beziehungsleben zweier Menschen gepaart mit Puppenspiel, Luftakrobatik und Tanz erfreuen, rein hypothetisch, so wird sich derlei ja wohl kaum in Nordhausen finden lassen, oder? In Berlin, Leipzig oder Hamburg vielleicht. Aber doch nicht in Nordhausen.

Die Replik in des Dichters Worten müsste dann lauten: „Doch, das Gute liegt so nah. Zumindest für ein paar Wochen im Jahr“. Das Zirkusfestival „Blue Balloon“ im blauen Zelt am Alten Tor holt seit 2016 ausgefallene Kunst und außergewöhnliche Künstler nach Nordhausen und auch in diesem Jahr ist das Programm wieder voll gepackt mit Shows und Darbietungen, die man so in der Region sonst nicht zu sehen bekommt.

Die oben angerissene Nummer etwa wird am 28. April ab 20 Uhr unter dem Titel „Wir Wollen Nie Nie Nie“ von der Künstlertruppe Raum 305 aufgeführt. „Getrieben von der Angst sich zu entzweien, erlebt das Paar Halluzinationen aus Brutalität, tiefem Vertrauen und skurriler Poesie.“, heißt es in der Beschreibung des Stücks. Wie man ein solches Spektrum mit Akrobatik und Puppenspiel über die Bühne zum Publikum transportiert, kann man sich kaum ausmalen, so etwas muss man erleben.

Seit 2016 wird das blaue Zelt auf dem Platz vor der Rothleimmühle am Alten Tor für ein paar Wochen aufgebaut (Foto: agl) Seit 2016 wird das blaue Zelt auf dem Platz vor der Rothleimmühle am Alten Tor für ein paar Wochen aufgebaut (Foto: agl)


Wahrscheinlich härtere Kost, aber damit startet das Festival auch nicht in die Saison. Es geht schon am kommenden Sonntag los, pünktlich um 20 Uhr, mit Tridiculous - Die Show“. Die gleichnamige Künstlertruppe verspricht rasante und energiegeladene Akrobatik gepaart mit Breakdance und Live-Musik. Mit leidenschaftlichen Klanglandschaften geht es am 04. Mai weiter, wenn man mit dem Nordhäuser Jazzclub das OZ NOY Trio im Zelt begrüßt. Eine Woche später, am 14. Mai, steht ein Nachbarschaftsbesuch auf dem Programm: Artistin Jana Korb hat sich jüngst in Kelbra niedergelassen und bewegt sich in #ABLEBODIESANDSTONE experimentell in luftiger Höhe mit schwerem Gestein und unter Mitwirkung des Publikums.

Am 20. Mai wird es wieder musikalisch. Das Duo FourStringCompany begibt sich dann in “Wurzeln“ mit Geige und Seil auf die Suche nach ihrer kulturellen Heimat. Am 01. Juni wird man im Zelt einen alten Bekannten begrüßen dürfen: Weltklassejongleur Wes Peden hat mit Rollercoaster wieder neue Wege gefunden, die Kugeln in ungeahnter Weise fliegen zu lassen.

Trost im Tee und am Trapez finden Rita & Rita in “Rita“ am 09. Juni, eine komödiantische Zirkuskunst der Extravaganz versichern, Steffi Böttcher und Alexander Jäger, dass Nordhäuser Duo, das den Zirkusreigen überhaupt erst in den Südharz gebracht hat. „Es gibt inzwischen Leute, die sich für das Festival bei uns bewerben, wir können die Auswahl treffen und wir kennen inzwischen eine Menge Leute, die jederzeit gerne wiederkommen“, sagt Steffi Böttcher. Die Atmosphäre um kleinen Zelt und die Nähe zum Publikum sowohl während des Auftritts als auch danach auf dem Platz gehöre zum Teil des besonderen Charmes. Das blaue Zelt hat am Alten Tor hat nach acht Jahren und der Pandemieflaute zum Trotz selber Wurzeln geschlagen. Wackelige Stühle, spärliche Beleuchtung und laue Belüftung gehören der Vergangenheit an, sogar Sitzkissen muss sich der so geneigte Gast nicht mehr selber mitbringen.

Nicht nur die Reputation auch das Publikum ist inzwischen über die Region hinausgewachsen. Gäste aus Quedlinburg, Halberstadt und Bad Sachsa seien keine Seltenheit mehr und auch aus Halle, Leipzig und Erfurt reise inzwischen interessiertes Publikum an, berichtet Jäger. In diesem Jahr habe sich außerdem Besuch vom Fach angekündigt, man wolle sehen wie und was die Nordhäuser bei ihrem Festival anders machen, außerdem waren einige der angekündigten Darbietungen in Deutschland bis dato nur selten zu sehen.

Der Kern der Gäste kommt aber weiter aus Nordhausen und Umgebung und ist, in der Regel, erwachsen. „Es kommt immer noch vor, das es Missverständnisse zum Festival und dem Zirkus Zappelini gibt“, sagt Jessica Piper, die sich für den Verein „studio 44“ um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Das „Blue Balloon“ Festival ist nicht der Kinderzirkus. Zwar hat der artistische Nachwuchs an der Zeltsaison auch seinen Anteil, seine Workshops und Auftritte, beim Festival geht es aber vor allem darum, den professionellen Vertreter des modernen Zirkus eine Bühne zu geben. Unterstützt wird man dabei durch den Freistaat Thüringen, der über das Festival über die Staatskanzlei fördert.

Ganz harte Nummern, die vielleicht nicht unbedingt für Kinderaugen gedacht sind, hat man in diesem Jahr nicht im Programm, dennoch ist „Blue Baloon“ keine Kinderunterhaltung. Hier und da ist aber durchaus auch mal etwas für die ganz Familie dabei, zum Beispiel wenn am 15. Juni das famose Nordhäuser Gitarren-Ensemble Con Fermezza im Zelt ein Gastspiel gibt. Zum krönenden Abschluss am 30. Juni freut man sich auf “Nora“ von der 7 Women Company. In dem Stück verarbeiten sieben Künstlerinnen Stärke und Verletztlichkeit, Angst, Mut, Zweifel und Entscheidung.

Außerdem…
Aber das war noch nicht alles, am Zelt wird auch Abseits der Shows Betrieb herrschen. Schon am 05. Mai wartet der Flow Markt, ein kleiner, bunter Flohmarkt der zum stöbern einlädt.

Am 17. Mai wird die Bühne für alle geöffnet, die sich selber einmal künstlerisch betätigen wollen, Obacht allerdings, frei nach dem Titel Flamm-Ingo soll es feurig zu gehen.

Am 17. Juni wird die Leinwand herausgeholt um mit Don’t Stop Motion einen kurzen Animationsfilm zu drei Fluchtgeschichten zu zeigen und mit zwei der jungen Filmemacher ins Gespräch zu kommen.

Zu guter letzt sollte der Wabi_Sabi nicht unerwähnt bleiben, der „Mitmachzirkus“. Bei gutem Wetter können sich Groß und Klein an sechs Terminen zwischen Mai und Juni selber am Zirkusinstrumentarium versuchen, die Details dazu finden sich auch auf der Webseite der Zappelinis, www.zappelini.de

Hier findet auch der Kartenvorverkauf statt, der Besuch lohnt sich, denn an der Abendkasse wird es etwas teurer. Ein besonderes Ticket gibt es hingegen nur im Weltladen - die Saisonkarte, die für 50 Euro zum Besuch von insgesamt vier Vorstellungen berechtigt.
Angelo Glashagel