Nachgehakt

Keine Alimentierung, sondern Anreize

Mittwoch
03.04.2024, 15:15 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser der Nordthüringer Online-Zeitungen den “Job-Turbo”? Nein? Dann wollen wir Ihnen erklären, wie der funktioniert oder eben nicht funktioniert. Wir haben uns in Nordthüringen umgesehen und umgehört. Mit ernüchterndem Ausgang…

Arbeitsagentur Nordhausen (Foto: nnz) Arbeitsagentur Nordhausen (Foto: nnz)
“Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen noch einmal verstärken, um Geflüchtete schnell und möglichst nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn Arbeit und Integration bedingen sich gegenseitig”, sagt unser Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

Im “Berliner Glashaus” der Bundesregierung und vielleicht auch in den Niederungen roter und grüner Landespolitik mag man dem zustimmend Glauben schenken, was der Fachmann da von sich gibt. Doch weiter “unten” in den politischen und wirtschaftlichen Hierarchien sieht das schon etwas anders aus. Pech für die Politik, dass “unten” einfach nur die Realität lauert, mit der sich turbomäßig auch und vor allem die Unternehmen auseinandersetzen müssen.

Wir erinnern uns: vor dem Job-Turbo gab es in Nordthüringen zahlreiche Versuche, Asylsuchende im besten arbeitsfähigen Alter und Gesundheitszustand in eine Arbeit zu bringen. Vor allem aber in einen Job, dessen Nebeneffekt eine Stärkung der Sozialsysteme nachhaltig nach sich zieht. Das sind die sagenumwobenen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs. Die personellen Ergebnisse dieser Bemühungen sind zwar überschaubar, werden dann jedoch medientechnisch so aufgebläht, dass dem Rezipienten vermittelt werden soll, dass alles in Ordnung ist.

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist seit zwei Jahren eine völlig neue Kategorie von Flüchtlingen in Deutschland eingetroffen. Sie bekommen sofort Bürgergeld und damit eine Rundum-Sorglos-Betreuung. Ausgestattet mit all dem, was Menschen und Familien zum Leben brauchen, bedeuten selbst die Regelsätze in Deutschland in den meisten Fällen ein Vielfaches von dem, was in der umkämpften (Ost)Heimat verdient wird. Beispielrechnungen gibt es im Netz genug, selbst in seriösen Medien.

Doch der Job-Turbo von Hubertus Heil und Andrea Nahles läuft nicht so wie angedacht. Der Trend der Abgangsraten bei den ukrainischen Interessenten habe sich inzwischen sogar verschlechtert, berichtet die Bundesarbeitsagentur Anfang dieses Jahres. Und weil der Spiegel auch darüber berichtet, muss es schließlich stimmen.

Natürlich haben auch viele Mitglieder des Nordthüringer Unternehmerverbandes (NUV) Fachkräftesorgen. Und natürlich würden viele von den Unternehmen gern Personal einstellen. Also wurde eine lokale Initiative verabredet, der Job-Turbo im Kleinen sozusagen. Die Öffentlichkeit blieb bei all dem erst einmal außen vor. Die Gründe dafür dürften in der Vergangenheit liegen und bekannt sein. Auch aktuell halten alle die sich bedeckt, die sonst mit Veröffentlichungen nicht gerade sparsam umgehen. Jedenfalls soll unter Federführung der hiesigen Arbeitsagentur unter anderem eine Veranstaltung organisiert worden sein, bei der sich 60 Ukrainerinnen und Ukrainer vorstellen sollten.

Fünf Unternehmen kamen dabei aus der Gastronomie im Südharz. Was sie eint ist die Tatsache, dass sie händeringend nach Köchen, Reinigungspersonal und Servicepersonal suchen. Was sich da in der vergangenen Woche abgespielt haben soll, ist exakt die Realität und die wiederum ist weit weg von politischen Schaubühnen in Berlin und Erfurt. Im Klartext: die Fragen, die von den Flüchtlingen aus der Ukraine gestellt wurden, drehten sich nahezu ausschließlich um die Möglichkeit einer geringfügigen Beschäftigung. Bis auf einzelne Ausnahmen soll das Gros der eingeladenen Ukrainer, so die unbestätigten Informationen der nnz, nicht auch nur einen Funken an Interesse an einer Vollzeitbeschäftigung gezeigt haben. Der Grund liegt auf der Hand: Mit einer geringfügigen Beschäftigung bleiben die Menschen weiter unter dem Schutzschirm des Bürgergeldes.

Niels Neu, selbst Unternehmer und Chef des NUV, war fassungslos. Ein weiterer Termin wurde erst einmal gecancelt. Nach Ostern darauf angesprochen, sagte er der nnz: “Ja, das war schon enttäuschend, aber ich kann die Menschen durchaus verstehen. Wäre ich in ihrer Situation, dann würde ich vielleicht auch so handeln. Was ich damit sagen will, es ist das System, es sind die politischen Entscheidungen in Berlin, die ein solches Verhalten möglich machen. Die Flüchtlinge aus der Ukraine sofort mit dem Status des Bürgergeldes auszustatten, war aus meiner Sicht ein Fehler. Was wir für die Menschen brauchen, die vor dem Krieg zu uns flüchten, sind Arbeitsanreize statt eine großzügige Alimentierung”.

Es sei niemandem mehr zu vermitteln, warum hier das komplette soziale Paket aufgeschnürt wird, andererseits jeder vierte Rentner in Ostdeutschland, der 45 Jahre gearbeitet und eingezahlt hat, unter 1.000 Euro Rente bekommt. „Für mich wäre ein gangbarer Weg, das Bürgergeld auf sechs Monate zu begrenzen, um in dieser Zeit den Flüchtenden Gelegenheit zum Ankommen und Einleben zu gewähren sowie eine passende Beschäftigung zu suchen. Werden anschließend annehmbare Jobangebote abgelehnt, muss eine Sanktionierung erfolgen.“, so Neu weiter.

Für Niels Neu hat dieses politische Agieren und das Festhalten an offensichtlich falschen Entscheidungen weitreichende Konsequenzen, bis hinein in das soziale und politische Verhalten. ”Meine zunehmende Wahrnehmung in jüngster Zeit ist, dass ein Teil der Mittelschicht, des Unternehmertums, manche Handwerker und Dienstleister mehr und mehr mit falschen politischen Entscheidungen zu kämpfen haben und sich zunehmend von den sog. bisherigen Volksparteien abwenden und Parteien am linken und rechten Rand präferieren”.
Peter-Stefan Greiner