nnz-Interview

Hier herrscht keine Endzeitstimmung

Donnerstag
22.09.2022, 09:46 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wie wird der Winter und wie geht man im Landkreis mit der nächsten Krise um, kaum das Corona im Rückspiegel zu verschwinden scheint? Wir haben mit Landrat Jendricke über die Dinge gesprochen, die das Landratsamt im Moment umtreiben, von der Energiekrise bis zur Wohnraumknappheit...

Im Landratsamt herrscht keine Endzeitstimmung, sagt Landrat Matthias Jendricke (Foto: agl) Im Landratsamt herrscht keine Endzeitstimmung, sagt Landrat Matthias Jendricke (Foto: agl)


nnz: Herr Jendricke, wie kommen wir durch den Winter?

Matthias Jendricke: Die Energiefrage bereitet auch der Verwaltung einige Sorgen, wobei die Lage für den Einzelnen natürlich noch problematischer ist. In einigen Bereichen, etwa bei den Verkehrsbetrieben, gibt es Sonderverträge, die uns erst einmal vor enormen Preissteigerungen bewahren. In der Pandemie hat man gesehen, dass es doch irgendwie weitergeht, insofern herrscht hier keine Endzeitstimmung. Allerdings muss man feststellen, dass die Unsicherheiten größer sind, als man das in der Corona-Zeit empfunden hat. Damals lief es, trotz der Einschränkungen, wirtschaftlich relativ stabil weiter. Die Gewerbesteuer ist damals nicht wie befürchtet stark eingebrochen, die Mehrzahl der Unternehmen stand nicht vor der Insolvenz. Jetzt werden die Auswirkungen wahrscheinlich größer ausfallen. Gewinne werden von den Preissteigerungen aufgezehrt, was wiederum die Einnahmekraft der Gemeinden vermindert. Die finanziell guten Jahre sind wohl erst einmal vorbei.

nnz: Der Landkreis hatte schon zu Beginn des Sommers Einsparmaßnahmen bekannt gegeben, hat man da noch Luft nach oben?

Jendricke: Wir haben im Juni in den Turnhallen das warme Wasser abgestellt, da man in der Zeit wirklich auch einmal kalt duschen kann. Das hat an einigen Stellen für Unverständnis gesorgt, aber wann wenn nicht zu diesem Sommer-Zeitpunkt sollte man abschalten? In der Frostperiode geht das überhaupt nicht. Inzwischen scheinen die Speichersysteme in Deutschland gut gefüllt zu sein. Aber ehrlich: als Landrat ist man zu klein, als dass man das ganze, große Gefüge abschätzen könnte. Über den Kat-Schutz hatte man uns schon im Frühjahr mitgeteilt, dass zuerst industrielle Bereiche mit sehr hohem Energieverbrauch, wie etwa die Zementherstellung, dran wären, sollte es zu Abschaltungen kommen. Und wenn diese Großverbraucher gegebenenfalls aus dem System seien, wäre notwendige Kompensationen in der Versorgung wohl auch leichter zu tragen.

nnz: Der Haushalt des Kreises befindet sich noch in der Konsolidierung, wie geht es weiter wenn in der neuen Krise vom Land weniger Unterstützung kommen sollte?

Jendricke: Wir sind leben als Landkreis vom Land und vom Bund und wenn es dort Schwierigkeiten geben sollte, würden wir das auch spüren. Aber die Bedarfszuweisungen, die wir vom Freistaat erhalten, hängen davon nicht eins zu eins ab. Was uns aktuell Sorgen macht, ist die Entwicklung der Baupreise, wobei wir auch hier hoffen, dass sich die Lage langsam beruhigt.

nnz: Der Landkreis hat diverse Bauprojekte, muss man hier jetzt die Handbremse ziehen?

Jendricke: Das ist ein schwieriges Terrain, man kann laufende Projekte nicht einfach stoppen. Planungen laufen Monate im Voraus und Fördermittel müssen dann auch zeitnah verwendet werden. Und manche Projekte, wie das Schiller-Gymnasium in Bleicherode, wollten wir unbedingt vor Schuljahresbeginn abschließen. Was man tun kann, ist Dinge etwas hinauszuzögern und das haben wir an den Stellen getan, an denen keine sinnvollen Ausschreibungen mehr möglich waren. Im Grunde gibt es von Seiten der Baufirmen seit dem Frühjahr keine Preisprognosen mehr und damit waren auch keine Preisbindungen mehr möglich. Die Lage hat sich da inzwischen ein bisschen eingerenkt, so dass wir jetzt die Möglichkeit haben, Maßnahmen auch wieder anlaufen zu lassen.

nnz: Politik spricht gerne vom „gestalten“. In den letzten Jahren war man hauptsächlich damit beschäftigt, Krisen zu bewältigen. Verliert man da nicht irgendwann die Lust, wenn man es primär um das „verwalten“ geht?

Jendricke: Die ständigen Krisen-Szenarien rauben einem schon die Stimmung. Die Preise sind das eine, die Unterbringung der Flüchtlinge aktuell das andere. Aber man muss sich da nicht nur in Negativargumenten ergehen, man kann das auch als Chance sehen. Die Demographie war bisher strikt gegen uns. Die Zahl der Neugeborenen in der Kreisstadt ist zuletzt von 360 auf 260 gesunken und Nordhausen lief Gefahr, unter 40.000 Einwohner zu fallen. Das wäre etwas, was uns als Region insgesamt nachhaltig und langfristig schwächen würde. Jetzt haben wir rund 1.400 neue Leute hier, darunter gut 400 Schulkinder. Das kann eine Region beleben und ich bin froh, wenn sich einige der Menschen dazu entscheiden, hier zu bleiben.

nnz: Dafür braucht es aber auch ausreichend und bezahlbaren Wohnraum…

Jendricke: Die Verfügbarkeit von Wohnbauflächen ist ein grundsätzliches Problem, vor allem die Stadt hat hier lange geschlafen. In Leinefelde wurden im letzten Jahr 33 Einfamilienhäuser genehmigt, im doppelt so großen Nordhausen waren es nur 13. Das zieht sich seit Jahren so durch, da wurde Investitionspotential nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil, wenn Gemeinden im Umland wie Niedersachswerfen etwas für neue Eigenheimstandorte machen wollen, dann wird noch dagegen interveniert. Unser Vorhaben, am alten Gaswerk Wohnraum zu schaffen, hat auch keine Unterstützung gefunden. Das ist die völlig falsche Entwicklung. Die Stadt wollte immer nur den Mietwohnbestand der SWG schützen, jetzt fehlt das Potential in der Masse. Die Zeit, in der es leicht war zu investieren, die hat man nun verpasst und darunter hat die ganze Region zu leiden. Wer hier für seine Familie keinen Wohnraum findet, der geht halt weg und baut seine Bindungen anderswo auf.

nnz: Den Vorstoß zu mehr Einfamilienhäusern hatten Sie schon in der Vergangenheit im Zuge der „Linie 20“-Idee vorgebracht. Lebt diese Vision eigentlich noch?

Jendricke: Ich werbe weiter für die Idee. Ein paar hundert Meter Schienenverbindung vor dem Stadtpark und wir können unseren Nahverkehr mit der Schnittstelle Niedersachswerfen in den Südharz hineintragen. Ich verstehe auch nicht, warum man da interveniert. Andere Städte betrachten ihr Umland als Potential, von dem sie letztlich leben. Aber wenn es um die Linie 20 geht, wird vom Oberbürgermeister nur abgewunken. Es gab da vor kurzem ein Förderprogramm mit einem Mindestvolumen von acht Millionen Euro, das eine gemeinsame Fahrpreispolitik und Ticketsubventionen beinhaltete, das hätte sich geeignet. Leider haben wir den Förderantrag dann alleine ohne die Stadt abgeben müssen. Das ist etwas deprimierend, am Ende zum Schaden der Menschen und regelrecht bösartig gegen die Regionalentwicklung. Das ist alles nicht nur ein Traum, anderswo gehen solche Dinge viel leichter. Man muss nur den Mut haben, sich auch einmal etwas vorzunehmen, auch wenn man nicht immer obsiegen kann. Und da, wo wir alleine entscheiden konnten, haben wir glaube ich gezeigt, dass wir bei der Fördermittelakquise Schritt halten können.

nnz: Ist Corona aktuell eigentlich noch ein Thema mit dem man sich befassen muss?

Jendricke: Wir sind dabei, die Kontaktverfolgung aus dem Gesundheitsbereich an die Service-Gesellschaft abzugeben, damit wir unsere Verwaltungsaufgaben im Gesundheitsmanagement wieder besser erfüllen können. Die Omikron-Variante hat nicht mehr die Schwere mit sich gebracht, wie wir das am Ende der Delta-Welle in 2021 noch auf den Intensivstationen gesehen haben. Wir hatten unter Omikron dann zwar deutlich mehr Fälle, aber weit weniger im Bereich der Intensiv-Stationen und das nimmt uns die Sorge vor dem, was vor uns liegt. Am Ende können wir uns nicht mit jedem Angst-Szenario befassen.

nnz: Herr Jendricke, wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Angelo Glashagel