DIE REGELN DES RECHTSSTAATES UND

Inge Klaans Hilferuf

Sonnabend
25.06.2022, 08:49 Uhr
Autor:
psg
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„Eine verlorene Generation?“, titelte und fragte vorgestern diese Zeitung. Anlass zu der Frage bot das Geschehen auf dem Areal der Nordhäuser Bibliothek. Inge Klaan, Geschäftsführerin der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft (SWG), schrieb sich ihren Frust von der Seele...


Vermüllung des Wohngebietes durch Kinder und Jugendliche! Ruhestörungen! Auch Zeittafeln der Nordhäuser Geschichte bekamen die Zerstörungswut zu spüren. Inge Klaan sprach ein Betretungsverbot für alle Kinder und Jugendlichen aus und bat die Polizei, es mit der SWG umzusetzen. Ihre Bitte an die Eltern, nicht auf Polizei und SWG zu schimpfen, wenn die Beamten ihre Kinder nach Haus bringen oder sie aufgefordert werden, sie von besagtem Areal abzuholen.

Starker Tobak, den Kollege Peter-Stefan kommentierte. Indes spricht mir ein bemerkenswerter Satz im letzten Abschnitt seiner Anmerkungen förmlich aus der Seele: Inge Klaan dürfte wissen, dass ihr Hilferuf wie ein Wassertropfen in der Wüste verdampfen wird. Warum wird dem so sein? Ich versuche eine Antwort. Ausschlaggebend dürften die Regeln des Rechtsstaates sein. Mit ihnen wird auch Inge Klaan konfrontiert. Es sind die Regeln eines Staates, in dem in diesem Fall Mieter wie Vermieter zum Zuschauen gezwungen sind oder sich aus Verzweiflung nur die Haare raufen können.

Ein klassisches Beispiel lieferte ein Fall in der Bochumer Straße. Ein Peanuts hingegen die Vorfälle um die Bibliothek. Ein Mieter der Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) belästigte die Mitbewohner, randalierte, störte den Hausfrieden durch lautes Schreien, drohte der Nachbarin mit dem Tod. Weder Gespräche, Abmahnungen, Kündigungen des Vermieters noch unzählige Polizeieinsätze halfen. Die Schwere der dem Übeltäter zur Last gelegten Vergehen reichte nicht, um den Kerl in polizeilichem Gewahrsam und Untersuchungshaft zu nehmen. Nach etwa zwei Jahren endete der Terror. Letztlich war der junge Mann psychisch gestört. Wäre einem der Belästigten die Hand ausgerutscht, stünde er vor dem Kadi.

Nehmen wir die Polizistenmorde von Kusel. Schon nach einer Stunde wurde der Prozess infolge einer unerwarteten Wendung vertagt. Der als Haupttäter angeklagte 39-Jährige beschuldigte plötzlich seinen jüngeren Mitangeklagten der Morde. Er selbst habe Mündungsfeuer ausgemacht, zurückgefeuert, sich nur verteidigt, sei perplex gewesen. Der Verteidiger des Verbrechers reitet auf dieser Variante. Der Mitangeklagte hingegen sieht sich ohne Schuld. Bevor geklärt ist, wer die tödlichen Schüsse abgab, ein Urteil gesprochen wird, werden wohl auf unsere aller Kosten Monate vergehen. Am Ende womöglich ein Urteil steht, das nur Kopfschütteln lässt. Warum, mit Verlaub, kein Schnellverfahren?

Vor Jahren war ich Gast einer Zusammenkunft der CDU in Bleicherode. Der damalige Bürgermeister äußerte seinen Unwillen über die Zerstörungswut mancher Leute in seiner Stadt. Und nannte Beispiele. Ihm sei es leid, immer nur an die Vernunft zu appellieren. Er wünschte sich ein Basta, ein Machtwort, eine Handhabe, um Uneinsüchtige wirkungsvoll zur Raison bringen zu können. Der Staat sei viel zu lasch gegenüber Ganoven.

Zurück nach Nordhausen. Die Polizei kann nur dann eingreifen, wenn sie die Jungendlichen vor Ort randalierend oder ruhestörend antrifft. Das wissen gewisse „Rädelsführer“, das wissen auch Eltern. Wenn überhaupt, wird es nur eine Ruhe auf Zeit. Erwachsene scheuen sich, einzugreifen, um die Gefahr wissend, selbst Opfer zu werden. Andererseits: Welche Möglichkeiten haben die jungen Leute, sich sinnvoller zu betätigen? Gibt es Alternativen? Inge Klaans Hilferuf wird verhallen.

Die Jugend eine verlorene Generation? Keineswegs! Sie steht ihren Mann. Sie engagiert sich in Vereinen, in Feuerwehren wie im Sport. Die da aus der Rolle fallen, ist eine kleine Minderheit, die aber Aufmerksamkeit erheischt. Neben Elternhaus und Schule als Erziehungsfaktoren ist es die Freizügigkeit des Rechtsstaates, die voll ausgelebt wird. Manche Zeitgenossen sehen darin eine Art Narrenfreiheit. So kann kein Gericht einen Straftäter zu einer Aussage zwingen, die zu einer schnelleren Urteilsfindung führen könnte.

Umfangreich die Rechtsmittel: Keine Beräumung des Platzes bei der Bibliothek ohne plausible Handhabe. Keine Hausdurchsuchung ohne zwingenden Verdacht. Keine Festnahme ohne Nachweis einer unmittelbar bevorstehenden Straftat, die schweren Schaden zur Folge hätte oder Leben bedroht.

So gesehen, werden Mieter, Vermieter und Polizei mehr oder weniger auch weiterhin nur zuschauen und abwarten können, wie sich die Geschichte auf dem Bibliotheksplatz entwickelt. Wäre da ein Basta hilfreich?
Kurt Frank