Hagelstange, die Thüringer Klöße und die Rostbratwurst

Zu Rudolf Hagelstanges 110. Geburtstag

Sonntag
16.01.2022, 15:21 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Begonnen hat dieses reichhaltige Leben am 14. Januar 1912 in Nordhausen in der Moltkestraße 4, jetzt Oskar-Cohn-Straße, die zur Freude des Jungen parallel der Gleise der Harzquerbahn verlief. Heidelore Kneffel würdigt den Jubilar in der nnz...

Aus dem Einband: Ein Lesebuch (Foto: H.Kneffel) Aus dem Einband: Ein Lesebuch (Foto: H.Kneffel)

Der Geburtsort mit seiner vom Harzraum und Kyffhäusergebirge geprägten Umgebung war ihm zeitlebens präsent. „… hier lag mein Wurzelgrund.“
Im Jahr 2012 wurde zum 100. Geburtstag in seiner Geburtsstadt vielfach auf ihn aufmerksam gemacht. Die Stadt ließ ein Buch erscheinen, das mehrere Texte dieses Lyrikers, Erzählers, Essayisten, Reiseschriftstellers und Herausgebers enthält, dazu Beiträge von Personen, die ihn noch persönlich kannten oder sich ausführlich mit seiner Persönlichkeit befasst hatten. Mit einem von der Künstlerin Karin Kisker gestalteten farbigen Einband, der Facetten seines Lebens darstellt, erschien diese Publikation unter dem Titel: „Rudolf Hagelstange, der Schriftsteller und Dichter aus Nordhausen am Harz – Ein Lesebuch“.

Außerdem wurde ab seinem Geburtsdatum im Kunsthaus Meyenburg die Präsentation: „Rudolf Hagelstange – Kunst und Literatur“, eröffnet, die regen Zuspruch fand, wie die Eintragungen ins Gästebuch belegen. Der Literat war ein Freund mehrerer Künstler, liebte solide illustrierte Bücher verschiedener Größe. Kunst war ein Lebenselexier des Schreibenden. Wer im Kunsthaus in seinen Büchern lesen wollte, konnte das tun, denn die Stadtbibliothek mit deren damaliger Leiterin Kersti Kramer und ihrem Team waren vielfach einbezogen in die verschiedenen Veranstaltungen. Hagelstanges fünf Kinder weilten in der Stadt und erlebten auch die Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshaus mit. Im damaligen OKN gab es mehrere Sendungen zu dem Geehrten.

Seit der Eröffnung der großzügigen Stadtbibliothek „Rudolf Hagelstange“ inmitten der Stadt gibt es jeweils zum ersten Lesecafe im Jahr eine Veranstaltung zum reichhaltigen Schaffen dieses weit in der Welt herumgekommenen Mannes.

Es gilt immer wieder Neues von ihm zu entdecken. 2020 kam eine Publikation heraus, „Der Weg entsteht im Gehen – Literarische Texte aus 100 Jahren Thüringen“, herausgegeben von Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann. Über 40 Schreibende kommen darin zu Wort, u.a. Walter Benjamin, Harry Graf Kessler, Thomas Mann, Kurt Tucholsky, Ricarda Huch und als zeitgenössische Poeten Sigrid Damm, Annerose Kirchner, Lutz Seiler, Daniela Danz, Thomas Spaniel. Die fünf zuletzt Genannten lasen in der „Dichterstätte Sarah Kirsch“. Unter der illustren Schar taucht Rudolf Hagelstange auf mit dem Text: „Rostbratwurst und Klöße“ aus dem Band „Zeit für ein Lächeln“, den man wie alle seine Bücher in der Bibliothek vorfindet. Er outet sich immer einmal wieder als ein Gaumenfreund.

Detail mit dem zerstörten Nordhausen aus dem Bucheinband: Ein Lesebuch (Foto: H.Kneffel) Detail mit dem zerstörten Nordhausen aus dem Bucheinband: Ein Lesebuch (Foto: H.Kneffel)

Viele lieben von ihm die Geschichte, wie seine Großmutter den köstlichen „Harzer“ herstellt. Hier nun preist er mit seiner wunderbaren Sprache die Thüringer Klöße und die Rostbratwurst. Eine bessere Reklame als diese gibt es im deutschen Sprachraum nicht, wie ich mit Auszügen daraus beweisen werde. Ich wette, dass Ihnen beim Lesen das Wasser im Mund zusammenläuft! „Thüringer Klöße müssen konsistent sein, aber beileibe nicht fest … Sie dürfen nicht zu schleimig sein, und was ihre Farbe betrifft, so steht ihnen ein zartester Hauch Grün – aber der denkbar zarteste! – vorzüglich. Dieses kaum als Grün zu bezeichnende Grün schlägt gewissermaßen von innen nach außen durch – es verbürgt, daß die Klöße aus rohen Kartoffeln gemacht sind … Und was den Geschmack betrifft, so steht für den Kenner fest, daß es unmöglich ist, sich an Thüringer Klößen nicht zu überessen... Sie müssen zur Unmäßigkeit verführen. Man darf ihrem Reiz, ihrer Lockung nicht widerstehen können. Erst hernach muß einem bewußt werden, daß man zu viel, das heißt, nicht über den Appetit, aber über den Bedarf gegessen hat.
Diese Klöße, so schreibt er, seien ein Beigericht. Stets präsent aber sei als autarkes Labsal „die Thüringer Roßbratwurst. Ich schreibe es, wie die Thüringer es sprechen. Gemeint ist natürlich die Thüringer Rostbratwurst, die bei allen Feiern, allen Schützenfesten, Sportveranstaltungen usw. als Wegzehrung an allen Straßenecken bereitliegt zu Hunderten, auf dutzenden von Rosten, für Tausende von Verzehrern. In Nordhausen, auf dem Marktplatz, wo man gelegentlich immer ‚dran vorbeikam‘… stand ein weißgestrichener Wagen mit Rostbratwürsten, echten Rostbratwürsten. Ich kam selten dran vorbei, ohne der Versuchung zu erliegen.“

Vieles, was sich als Rostbratwurst aufplustere, sei gar keine, so kritisiert er. „Wie die Fleischer sie machen, vermag ich nur zu ahnen. Auf jeden Fall muß eine solche in ihrem Innern noch roh sein, wenn sie auf den Rost kommt … Das rohe Fleisch ist natürlich gemahlen, aber sehr grob. Es muß noch aufquellen und zusammenschnurren können. Die Haut muß platzen, an vielen Stellen – nicht ungebührlich weit, nur eben so, daß der Ruch und Rauch der Holzkohle Einlaß findet in den Poren der Thüringerin und sie mit jenem unverkennbaren Aroma ausstattet … Was gäbe ich dafür, mit so einem senfbestrichenen Ding in der Hand dazustehen und zugleich mit dem heißen Bissen auch die dreifache Portion Frischluft in den Mund zu nehmen, um die beinahe glühende Masse so lange in der Mundhöhle hin und her zu balancieren, bis sie, wohltemperiert, an den Schlund weitergegeben ist, den Weg allen Fleisches gehend …“ Dem ist nichts hinzuzufügen!!!
Heidelore Kneffel