Historisches Datum

100 Jahre Gipswerk Niedersachswerfen

Sonntag
13.08.2017, 11:21 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Genau in diesen Tagen war der 100. Geburtstag des Gipswerkes Niedersachswerfen. Denn Ende Juli 1917 stieg die BASF-Tochter Ammoniakwerk Merseburg GmbH bei Nordhausen in die Gips- und Anhydritvorkommen am Kohnstein ein. nnz-Autor Tim Schäfer erinnert an dieses Datum...


Neue Geschäftsfelder sollten industriell erschlossen und erfolgreich, nicht zuletzt mit hoheitlicher, königlicher Unterstützung gestaltet werden. Dies vorweggenommen, es gelang. Trotz Kriegswirren oder gerade deswegen. Über viel Jahrzehnte.

Die Gewinnung von Steinen und Material am Kohnstein oder andere Nutzungen mit anthropogenem Charakter sind tatsächlich wohl mehrere tausend Jahre alt. Allerdings wird alles überschattet von der jüngeren Geschichte Nazideutschlands, die direkte Bezüge zum Gipswerk Niedersachwerfen hat. Bereits vor 1917 bestanden gleich diverse Unternehmen, die am Kohnstein etabliert gewesen sind. Dazu gehörten die Fa. Süßmilch aus Leipzig oder die Firma Otte. Die Geschäftsführung des Gipswerkes trat mit notariellen Verträgen des königlichen Nordhäuser Notars Dr. Usbek in vielfältige, teils rückbezogene Rechtsverhältnisse ein. Dies wurden aber schließlich vom Gipswerk dominiert. Größere Grundstückzukäufe, die damals schon durchaus teils unter Zwangsandrohung stattfanden, ließen insbesondere bis 1919 ein ganzes Konvolut von Verträgen entstehen.

Das Management der ersten Jahre befasste sich auch mit dem Bau einer Werkssiedlung für die Angestellten. Es gab in Niedersachswerfen die Badische Straße (heute Albert-Kuntz-Straße). Dort nennt man heute noch ein Haus die Brendowsche Villa. Brendow war einer der Manager, der für kaufmännische Angelegenheiten verantwortlich war.

1917 startete man mit vier gewerblichen Mitarbeitern, deren Anzahl schnell anstieg. Das Gipswerk Niedersachswerfen bei Nordhausen am Kohnstein selbst hatte in Rechtsnachfolge oder in Neugründung über diese 100 Jahre viele Mütter. Zunächst die BASF mit ihrem Konzernbetrieb Ammoniakwerke Merseburg GmbH (IG Farben), Leuna-Werke. Einige Jahre war das Mineraldünger Chemiewerk Leuna in sowjetischer Hand.

Historisches Dokument (Foto: Tim Schäfer) Historisches Dokument (Foto: Tim Schäfer) Einladung zur Umbenennung des Chemiewerkes Leuna in Leunawerke „Walter Ulbricht“, 1951. Das Hauptreferat hielt der damalige stellv. Ministerpräsident Walter Ulbricht selbst! Nunmehr wurde das Gipswerk Niedersachswerfen ein unselbständiger Betriebsteil der Leuna-Werke „Walter Ulbricht“. (Tim Schäfer)

Dann die Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ als volkseigenes DDR Kombinat. Im Zuge der Neuordnung der Volkswirtschaft in der Sowjetzone und der DDR wurde dem Gipswerk auch das ehemalige Anhydritwerk einverleibt. Somit der Zugang zu Baustoffen. Nach der Wende dann die Leuna-Werke AG und GmbH, schließlich für das Gipswerk das Ende unter der Firma Wildgruber, nunmehr vorher auch als Harzer Anhydritwerk benannt.

Im November 2002 erfolgte ein Beschluss zur Stilllegung von WICO. 2003 wurden Assets an die Firma Knauf sowie die heutigen Bergerwerksbetreiber verkauft. Mittlerweile erinnert am Kohnstein fasst nichts mehr an das alte Gipswerk Niedersachswerfen, denn die Anlagen wurden mittlerweile bald restlos abgerissen.
Offenbar führte die Gründungsintention des Gipswerkes letztendlich wohl auch zum Untergang. Denn die über Jahrzehnte bestehende Lieferverkettung nach Leuna fand im Zuge der Wiedervereinigung ihr jähes Ende. Es gibt Meinungen, wonach die Fokussierung auf reine Baustoffe sich wohl als zu eng erwies, obwohl böse Zungen ganz gesichert behaupten wollen, dass insbesondere Missmanagement eben auch einschlägig wirkten.

Aber jahrzehntelang war eine Strategie für Leuna auf Stickstoff und Benzin zu setzen in Kriegs- wie Friedenszeiten tragfähig. Wovon das Gipswerk profitierte. In mehrfacher Hinsicht. Aus einer kriegswichtigen Produktion für Spreng- und Treibstoffe konnte in Friedenszeiten eine ebenso wichtige und lukrative Herstellung von Dünger- und Treibstoffen diversifiziert werden. Diese Produktionen existieren heute noch in variierten Technologien, jedenfalls wird aber kein Rohstoff vom Kohnstein bei Nordhausen mehr dafür benötigt. Des Weiteren fand eine Gewinnung von Material aus dem Kohnstein im Stollenvortrieb ein Reichsinteresse. Man konnte die späteren Kammern, die Wifo, Mittelwerke, das KZ Mittelbau-Dora nutzten, als unterirdische Produktionshallen auch verkaufen. Der Ausbruch als Material ging insbesondere nach Leuna. Ohne die alliierte Seeblockade im ersten Weltkrieg würde es diese Entwicklung wohl nicht gegeben haben.

Denn eine Option der Wertschöpfungskette war die Synthese von kriegswichtigem Ammoniumnitrat (Sprengstoffe). Bedeutender war die Nutzung des Haber- Bosch Verfahrens zur Herstellung von Düngemitteln. Durch zunehmenden Düngemitteleinsatz konnte die landwirtschaftliche Produktion erhöht werden. Aber auch für die Zementindustrie und den Wohnungsbau ist das Gipswerk seinerzeit ein wichtiger und bedeutender Lieferant gewesen. Produkte wie Porenanhydritsteine, Leunit, Estriche sind gute Beispiele. Ohne diese Produkte wäre ein DDR-Wohnungsbauprogamm nicht so möglich gewesen.
Heute wird am Kohnstein Ausbruchsmaterial vom Stuttgart 21 -Projekt im großen Stil eingelagert und das Bergwerk liefert auch wieder Material, insbesondere für Fußbodenestriche.
Tim Schäfer