Zwischen Waidmannswerk und Wirtschaftlichkeit

Rotwild gibt es nicht zum Nulltarif

Mittwoch
13.10.2021, 18:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im Südharz soll in den nächsten Jahren kräftig aufgeforstet werden. Um die zügige Wiederbewaldung der von Hitze und Käfer geschorenen Flächen sicherzustellen soll auch das Rotwild weiter auf’s Korn genommen werden. Aber wie viel Wild braucht der Wald und wie soll gejagt werden? Zwischen Forstleuten und Jägern gehen die Meinungen dazu auseinander…



Wenn sich das Abendrot im Herbst über den Südharz senkt und die Dämmerung heran zieht, dann kann man im Südharz die Hirsche brüllen hören. Oder auch nicht, denn es braucht auch Glück, dass Naturschauspiel zu erleben. Und das in zunehmenden Maße, wo man einst nahezu sicher sein konnte, die Hirschbrunft zu hören, herrscht heute häufig Stille.

Ein Grund dafür sieht man bei der „Interessengemeinschaft zur Rettung des Rotwildes“ (IG) auch in einer stärkeren Bejagung der Tiere, vor allem durch staatliche Stellen. Um das Rotwild wieder „erlebbar“ zu machen wurde die IG vor drei Jahren gegründet. Vorläufiger Höhepunkt der Arbeit war die Eröffnung einer Wildbeobachtungsstation bei Sophienhof vor zwei Wochen. Hier soll dem interessierten Publikum, vor allem Schulklassen, nicht nur das Leben in den Südharzer Wäldern sondern auch das Waidmannswerk, sprich die Jagd, nahe gebracht werden.

Wie aber die waidgerechte Jagd aussehen soll, wie viel Rotwild der Wald verträgt und wie viel er braucht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Beim ThüringenForst, der Forstanstalt des Freistaates, blickt man auf die „Kalamität“ der letzten Jahre und auf die Aufgaben, die vor den Förstern liegen und will die Bestände des Rotwildes lieber niedriger halten, als das in der Vergangenheit der Fall war. Nach drei Jahrhundertsommern und einer regelrechten Borkenkäferplage derer man trotz aller Anstrengungen nicht mehr Herr werden konnte, will man die entstandenen Kahlflächen nach und nach wieder aufforsten. Ein neuer Wald soll es werden, durchmischter, nachhaltiger, klimaresistenter und die anfälligen Monokulturen der „Holzacker“ sollen der Vergangenheit angehören. Und dafür gibt es die nächsten Jahre viel Geld vom Freistaat. Damit die Waldverjüngung von Menschenhand gelingt, müsse sich der Bestand des Rotwildes in Grenzen halten, so die Argumentation. Sonst würden die Bemühungen bald „weggeäst“, wie es der Leiter des Forstamtes Bleicherode, Gerd Thomsen, jüngst in der nnz ausdrückte. Verbiss durch das Wild sei nicht per se schlecht, müsse aber im Rahmen bleiben und dürfe sich nicht an die hundert Prozent annähern. Zu Zeiten da man die Tiere im Herbst schon vom Straßenrand aus hören konnte, habe man genau dieses Problem gehabt.

An vielen Stellen sind die Ansichten des Forstes und der IG deckungsgleich, beim Hirsch geht man auseinander. Es braucht die Wiederaufforstung, eine großflächige Einzäunung der Flächen ist unrealistisch also braucht es auch die Jagd und der Wald ist und bleibt auch ein wirtschaftlicher Bereich. Bis hierhin geht man d’accord. Die Diskussion entzündet sich dann, wenn es um den Umgang mit dem Rotwild, und um die Jagdmethoden geht. Aus Sicht der Interessengemeinschaft ist der Forst zu allererst als Rohstoffproduzent tätig und betrachtet den Wald primär unter diesem Gesichtspunkt. „Das Rotwild taucht in der Kommunikation des Landesforstes fast nur noch als „verbeißendes Schalenwild“ auf“, kritisiert Nils Neu, als Vorsitzender das Gesicht der IG Rotwild, Fachmann im zuständigen Landesfachausschuss der Christdemokraten und selber Jagdpächter eines kleinen Areals bei Ilfeld. Das Stigma welches den Tieren hier auferlegt werde, stehe ihnen so nicht zu und rücke sie in die Nähe von Schädlingen, die es zu bekämpfen gilt. „Tieren wie Wolf, Luchs, Fischotter oder Birkhuhn schreiben wir nicht vor, wo sie leben sollen, aber beim Rotwild bestimmen wir wo es sich aufzuhalten hat. Im Flächenland Baden-Württemberg geht das so weit, dass Rotwild nur noch in wenigen ausgewiesenen Arealen leben darf. Unser Wild ist mit Sicherheit nicht vom Aussterben bedroht aber jedes Tier hat seinen Platz im Ökosystem Wald. Die Konzentration auf das Rotwild allein als schädlicher Faktor führt aus unserer Sicht in die falsche Richtung.“

Zweitens kritisiert man bei der IG die Jagdmethodik der staatlichen Stelle. Die setzt auf wenige aber intensive Drückjagden. Es sei besser man gehe mit 25 Jägern zweieinhalb Stunden in den Wald und mache viel Strecke, als jeden Jäger einzeln einhundert mal losgehen zu lassen und dabei das gleiche Ergebnis zu erzielen, so die Einstellung im Forstamt, das mindere den Druck auf die Tiere. Ein Argument, mit dem man auch bei der IG mitgehen kann, wenn die Jagdausflüge denn in diesem Rahmen bleiben. Gehe man aber, wie es in der Vergangenheit vorgekommen sei, mit 50 und mehr Jägern auf die Pirsch steige die Gefahr, dass eben nicht mehr „waidmännisch“ geschossen wird und mehr Unruhe als nötig in den Wald komme. Man könne auch ohne Drückjagd in kleinen Gruppen effizient Strecke machen, sagt Neu. Zudem gebe es Anreizsysteme, etwa nach einem bestimmten Teil „Strecke“ die Erlaubnis einen Hirsch schießen zu dürfen, die allein für das Rotwild zum Einsatz kämen. Für die nicht minder notwendige Jagd auf das Schwarzwild gebe es solche „Motivationsprogramme“ nicht, kritisiert die IG Rotwild.

„Grundsätzlich hat der Landesforst an vielen Stellen recht blickt aber unserer Meinung nach als staatlicher Waldbesitzer natürlich zuerst auf den Profit und damit verbunden einseitig auf das Rotwild. In Anbetracht der hohen Fördermittel, die man jetzt für die Wiederaufforstung erhält, muss die Frage erlaubt sein, wo die Hauptaufgabe liegen soll: bei der Bewirtschaftung des Waldes oder der Jagd? Muss die Jagd überhaupt staatliche Aufgabe sein oder ist sie nicht auch durch private Jäger lösbar?“. Man müsse auch darüber diskutieren, wie der Wildbestand im Wald idealer Weise aussehen soll. „Diese Diskussion muss fair, sachlich und wissenschaftlich geführt werden. Wir haben das größte zusammenhängende Rotwildrevier Deutschlands vor der Haustür. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Aber das Rotwild gibt es nicht zum Nulltarif.“

Geht es nach der IG, sollen der Hirsch und seine Kühe nicht als Schädling „stigmatisiert“ sondern gleichberechtigt neben allen anderen Tieren durch den Südharz ziehen können, sodass man im Herbst vielleicht weniger Glück braucht, um sie brüllen zu hören und sich die Tiere im Idealfall auch vor der Wildbeobachtungsstation bei Sophienhof blicken lassen. Zum Betrieb der Station und den Rahmenbedingungen finden derzeit noch Gespräche statt. Auch hier, soviel lässt sich heraushören, gibt es Meinungsverschiedenheiten, aber man redet miteinander und nicht nur übereinander. Beide Seiten, so scheint es, sind um Sachlichkeit bemüht. Ob ein Konsens gefunden werden kann und wohin die Reise geht wird auch vom weiteren Schicksal der Südharzer Wälder abhängen. Und es darf vermutet werden, dass deren Zukunft, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln, letztlich beiden Seiten am Herzen liegt.
Angelo Glashagel