"Mut schöpfen" auf dem Rathausplatz

Gewalt macht krank und kaputt

Mittwoch
23.08.2017, 13:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Gewalt gegen Frauen, vor allem im häuslichen Bereich, gehört immer noch zum Alltag im Land. Viele Betroffene leiden still, anstatt "Mut zu schöpfen" sich zu wehren. Unter diesem Motto wollte man heute vor dem Nordhäuser Rathaus darauf aufmerksam machen, dass es auch anders geht...

Mut schöpfen - Aktion sollte auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen (Foto: Angelo Glashagel) Mut schöpfen - Aktion sollte auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen (Foto: Angelo Glashagel)


Pro Jahr suchen in Deutschland rund 40.000 Frauen Zuflucht in Frauenhäusern, jede vierte Frau im Land hat im eigenen Leben schon Gewalt erfahren, physisch wie psychisch, sagt die Statistik.

Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, viele Betroffenen würden sich nicht trauen Hilfe zu suchen, sagte Bernd Spitzbarth, Geschäftsführer der Nordthüringer IG Metall. Zusammen mit dem "Netzwerk Zeitspender Nordhausen", der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt der Caritas und der Unterstützer der Gleichstellungsbeauftragten der vier Nordthüringer Landkreise wollte der Ortsfrauenausschuss der Gewerkschaft auf dem Nordhäuser Marktplatz heute ein öffentliches Zeichen setzen.

v.l: Heike Marx, Bernd Spitzbarth und Sylvia Nolte von der Gewerkschaft IG Metall haben die Aktion angeschoben (Foto: Angelo Glashagel) v.l: Heike Marx, Bernd Spitzbarth und Sylvia Nolte von der Gewerkschaft IG Metall haben die Aktion angeschoben (Foto: Angelo Glashagel)


Den halben Platz belegte man mit Gefäßen aller Art, vom kleinen Glas bis zum wuchtigen Römertopf. Ausgestattet mit Gießkannen konnten Passanten hier "Mut schöpfen" und die Gefäße mit Wasser aus dem Aarbrunnen befüllen. Über die ungewöhnliche Aktion sollte die Problematik der häuslichen Gewalt wieder in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden.

Im sozialen Netz ist die Thematik schon lange angekommen, Hilfsangebote gibt es seit langem, die eigentliche Hürde ist die eigene Überwindung diese auch aufzusuchen und anzunehmen. Wer dringend Schutz sucht und nicht länger in den eigenen vier Wänden bleiben kann, für den hält der Landkreis eine "Frauenschutzwohnung" bereit. Die Belegung variiere von Jahr zu Jahr, sagte Ina Schmücking aus dem Fachbereich Familie und Soziales im Nordhäuser Landratsamt.*

Die Notwendigkeit Schutz zu suchen kann plötzlich entstehen, einige Frauen kamen mitsamt ihrer Kinder mitten in der Nacht in der Schutzwohnung unter. In manchen Fällen blieben die Frauen nicht viel länger als eine Nacht und würden anderweitig Unterkunft finden, etwa bei Verwandten, erläuterte Schmücking. Oder sie kehren zum Partner zurück. Andere bleiben bis zu zwei Wochen, in Ausnahmefällen auch länger.

Die Betreuung der Betroffenen übernimmt im Nordthüringer Raum die Interventionsstelle häusliche Gewalt der Caritas. Seit 2008 existiert die Institution und fungiert als Bindeglied zwischen der Polizei und dem weiteren Hilfenetzwerk. Man verfolge einen pro-aktiven Beratungsansatz, erklärte Steffi Mayer, Leiterin der Interventionsstelle, häufig werde man schon während oder kurz nach einem Einsatz von der Polizei in Kenntniss gesetzt und könne dann auf die Betroffenen zugehen. Der Großteil findet so den ersten Weg zur Aushilfe aus ihrer Situation, manche Frau kommt auch von alleine auf die Interventionsstelle zu, im Landkreis Nordhausen im Durchschnitt sogar mehr als im Rest des Freistaates, sagte Mayer.

"Es braucht einen gewissen Leidensdruck. Man muss überhaupt erst einmal bereit sein, sich von seinem Partner, von dem Lebensplan, den man einmal vielleicht hatte, zu verabschieden." so Mayer weiter, schließlich müsse nicht immer alles schlecht sein, es könne auch gute Tage geben. Häufig seien auch Kinder mit Spiel und ein gewalttätiger Partner müsse nicht per se ein schlechter Vater sein. "Aber: früher oder später macht Gewalt krank und kaputt. Es muss ein Wunsch nach Besserung bestehen und die nächsten Schritte, das was danach kommt, das muss greifbar sein. Nur wenn diese drei Aspekte zusammen kommen, können Widerstände und auch Gewohnheiten der alltäglichen Erfahrung überwunden werden.", sagte Mayer der nnz.

Das es ein danach gibt, das man nicht allein ist und das es Hilfe und Anlaufmöglichkeiten wie die Interventionsstelle gibt, das sei vielen Frauen nicht bewusst. "Für uns ist das die wichtigste Botschaft von Aktionen wie der heutigen", sagte Mayer.

Die Interventionsstelle mit Sitz in Nordhausen ist telefonisch unter 03631/467-155 bzw. -157 und via E-Mail an: ist-ndh@caritas-bistum-erfurt.de zu erreichen. Man arbeite mobil im weiteren Nordthüringer Bereich und könne außerhalb von Nordhausen auf Räumlichkeiten der Caritas oder anderer Träger zurückgreifen um neutrale und sichere Räume zu schaffen, sagte Mayer. "Man kann sich schlecht am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen, es ist leichter wenn Impulse von außen kommen und es kann schon helfen wenn etwa Verwandte oder Nachbarn einen Flyer in die Hand bekommen und einen Anstoß geben können. Es gibt Hilfe und man ist nicht allein."
Angelo Glashagel

Nachtrag:wie das Landratsamt mitteilt zählte man im Jahr 2015 insgesamt 165 Belegungstage, in 2016 waren es 27, im laufenden Jahr bereits 50